Sonja Herpich, Fotografin aus München, hat in diesem Jahr bei den Lead-Awards eine Auszeichnung im Bereich Stilllife-Fotografie und Architektur gewonnen.
Im letzten Jahr wurden wir auf sie aufmerksam, als sie ihren 16-tägigen Nebenjob als Wiesnbedienung mit einem Tagebuch fotografisch dokumentierte. Jeden Tag machte die Münchnerin morgens und abends ein Bild von sich, unabhängig davon wie sie sich fühlte.
Entstanden ist so eine Reihe ehrlicher Selbstportraits, die uns nicht nur auf die Fotografin neugierig werden ließen, sondern auch auf die Wiesnbedienung „Sonja“, die offensichtlich nicht nur mit der Kamera in der Hand gerne Menschen um sich hat.
Goldstück: Drinnen oder Draußen?
Sonja Herpich: Drinnen, Mittelschiff.
G: Wann ist die Wiesn am Schönsten?
S: Jeden Abend gegen 23 Uhr, wenn das Zelt leer ist, die Bierbänke aufgestuhlt sind, und wir in unserem Servicebereich sitzen und den Tag Revue passieren lassen.
G: Wann schmerzt die Wiesn?
S: Es gibt viele Momente die schmerzen. Wenn die Glasnähte der Maßkrughenkel in die Haut schneiden, wenn der Arm auf dem Weg von der Küche zum Tisch unter der Last der Teller einschläft, wenn direkt neben einem eine Schlägerei stattfindet und die Leute nicht aufeinander aufpassen. Aber auch wenn man sich zusammenreißen muss freundlich zu bleiben, weil Gäste mit Gutscheinen zahlen und das auf den Cent abgezählte Bedienungsgeld recht großzügig auf den Tisch knallen. Das Bedienungsgeld -viele wissen das tatsächlich nicht- ist kein Trinkgeld. Daher darf man gern aufrunden, gern auch bissl mehr.
G: Ist es die Liebe zum Fest, zu den vielen Menschen, oder ist es einfach ein Kontrastprogramm zu Deinem eigentlichen Beruf?
S: Mit Sicherheit die Kombination. Ich bin in der Gastronomie aufgewachsen, lass mich von fröhlichen Menschen gerne anstecken, und Bier schmeckt mir auch recht gut. Aber der Kontrast zu meinem eigentlichen Beruf ist das Beste daran. Wenn man in einem kreativen Beruf arbeitet, ist es fast eine Erholung Bier und Hendl zu verkaufen. Es ist ein einfaches Geschäft. „Bier?“ „Ja!“ „Wieviel?“ „Fünf Stück“. Da muss ich nicht überlegen ob es besser aussieht wenn ich das Bier von links oder von rechts serviere.
G: Wie kam es zu dieser Dokumentation?
S: Die Doku habe ich erstmal nur für mich gemacht. Wie eine Art Tagebuch. Ich wollte wissen wie sehr man mir die 16 Tage ansieht. Die Wiesn ist eine ganz besondere Zeit für mich. Die Arbeit zu veröffentlichen, kam mir erst danach in den Kopf. Ich werde die Serie auch weiterführen und ein Langzeitprojekt daraus machen.
G: Ich hatte mir optisch einen deutlich schlechteren Zustand vorgestellt. Du siehst immer noch gut aus am Schluß. Welches Körperteil hast Du entsorgt nach den 16 Tagen?
S: Der rechte Fuß war nach dem letzten Wiesneinsatz hin. Daran war allerdings nicht die Wiesn Schuld, sie war nur der Auslöser dafür, endlich mal zum Arzt zu gehen. Sehr belastet werden die Ohren, wenn ich nach den 16 Tagen irgendwo eingeladen war, wo es eng und laut war, musste ich gehen.
G: Wem rätst Du grundlegend ab von diesem Job?
S: Wer keinen Humor besitzt, der ist auf der Wiesn falsch.
G: Kannst Du jemals wieder Hendl essen in Deinem Leben?
S: Oh ja! Zum Glück sind die Hendl bei uns im Zelt wirklich gut und riechen lecker. Da vergeht einem der Appetit nicht vollkommen. Aber so gleich danach muss es nicht sein. Auch Bier aus großen Gläsern schmeckt nicht mehr so gut. Ich freu mich dann immer über ein kühles Helles aus der Flasche.
G: Was geht in Dir vor am Samstagvormittag, wenn alle wie die Hummeln auf den Anstich warten?
S: Der Samstagvormittag ist wirklich unbeschreiblich, diese Spannung die da in der Luft liegt. Wahnsinn. Je näher der Zeiger an die 12 rückt umso hibbeliger werde ich. Aber sobald die erste Fuhre Bier draußen ist, läuft die Maschine.
G: Sind die Italiener wirklich so verrückt?
S: Ich finde die Neuseeländer und die Australier nicht weniger verrückt. Die verwenden ihren Jahresurlaub um so weit zu reisen, kaufen sich eine Lederhosn und gehen jeden Tag auf die Wiesn. Da gibts welche, meist junge Kerle, die wirklich jeden Tag um Punkt 10 Uhr im Zelt sitzen, sich ihr erstes Bier reinwürgen, weil sie noch einen Schädel haben vom Vortag, und nach einer Stunde an der Maß zuzeln bekommen sie langsam wieder Farbe im Gesicht. Dann gehen sie auf Reise und feiern sich durchs ganze Zelt bis sie abends zum Schankschluß wieder bei uns im Service sitzen und Noagl zamschütten, weil sie immer noch durstig sind. Vom flüssigen Gold bekommen eben alle einen bierseligen Glanz in den Augen, ganz egal woher sie kommen.
Sonja Herpich ist außerdem seit der ersten Ausgabe Fotografin für die Zeitschrift „MUH“, einem Magazin für bayerisches Wesen und Unwesen, bayerische Kulturen, Gemütlichkeit und Ungemütlichkeiten, und erhielt für diese Arbeit eine Silbermedaille als Newcomerin des Jahres 2012.
Der Titel „Half Kitchen“ ist zurückzuführen auf die Vermischung von mittelmässigen Englischkentnissen und schlampiger Aussprache zugereister Wiesenbesucher, bei der Bestellung eines halben Hendls.