Zugegeben, jedes von Fausers Werken ist großartig, exzentrisch und lesenswert. Dennoch hat es uns ein Roman aus dem Nachlass, „Die Tournee“, mit am meisten angetan. Wir haben auch eine Theorie, warum.
Doch zunächst zu Jörg Fauser selbst. Nun, der Hang zu autobiografischen Einflüssen lässt sich nicht leugnen, kennt man seine Geschichte. Der 1944 in Bad Schwalbach geborene Journalist und Autor verbrachte sein Leben größtenteils in Frankfurt, West-Berlin, Göttingen und schließlich München. Während des Ersatzdienstes 1966 in Heidelberg verfällt Fauser dem Heroin, verbringt einige Monate im Istanbuler Drogenviertel Tophane, bis ihm 1971/72 der Entzug gelingt. Wem Fausers Romane, wie etwa „Rohstoff“, ein Begriff sind, sollte dies mehr als bekannt vorkommen. So verwundert es auch nicht, dass die Erzählstränge der Protagonisten seines letzten Romanes – den er 9 Monate vor seinem Tod zu schreiben begann, bevor er durch einen Autounfall auf einer Münchner Autobahn auf recht mysteriöse Weise ums Leben kommt – in München und West-Berlin beginnen.
Harry Lipschitz, Mitglied der Schöneberger SPD und ehemaliger Mitarbeiter des Ostbüros, die tragische Figur des Münchner Galeristen Guido Franck, Natascha Liebling, eine trinkselige Schauspielerin deren beste Zeiten und Erfolge einige Zeit zurückliegen, die so gut getroffen ist, dass es einen zwischen Belustigung und mütterlichem Mitleid zerreißt. Natascha soll, nachdem sie bei Filmdrehs den Ruf genießt „schwierig“ zu sein, ihre Karriere durch Tourneetheater wieder in halbwegs geordnete Bahnen bringen. Die Journalistin Vicky Borchers-Bohne begleitet dieses Vorhaben und soll darüber berichten, während Charles Kuhn, ein Mann mit tausend Gesichtern der kaum einschätzbar ist, böses im Schilde führt – oder auch nicht? Milieu, Gewalt und Drogen sind auch in diesem Roman Fausers ein großer Teil der Erzählung, aber nicht minder die grandiose Beobachtung des traurigen Alltags der Tourneetheater, die durch Kurorte ziehen und vor dem gerade-noch-so-lebenden Publikum ihre Stücke auf die Bretter bringen.
Fauser stirbt mitten in seiner Arbeit an „Die Tournee“. Der Roman endet abrupt, genau dann, wenn es vor Spannung kaum mehr auszuhalten ist. Teile lassen sich erahnen, wiederum andere Teile bleiben völlig offen. Die Geschichte ist bis zu diesem Ende schon derart quälend gut, dass die ausstehende Weiterführung einen schier um den Verstand bringt. Und vielleicht liegt auch gerade darin die Faszination und die Fessel, die uns dieses Romanfragment angelegt hat. Wir bleiben hungrig und durstig zurück, unbefriedigt, und müssen uns damit abfinden, mit dem Gefühl des nicht-immer-alles-haben-könnens. Vielleicht ist es gerade das, was uns seit Wochen nachts wachliegen und über die Figuren mit den wie immer vortrefflichen Namenskreationen nachdenken, und dieses Buch unserer Meinung nach den anderen Meisterwerken Fausers den Rang ablaufen lässt.
Es gibt Stimmen die glauben, dass der Tod des Autors keineswegs ein Unfall gewesen sein soll, sondern vielmehr mit seinen Recherchen im Drogenmilieu für einen neuen Roman zusammenhingen. Der Fahrer des LKWs der ihn erfasste starb 4 Wochen nach dem Unfall, die Unterlagen zum Fall verschwanden. Die ganze Geschichte klingt nach einem Fauser Roman. Er steckte sein Leben in die Bücher, fast klingt es als hätten sich die Geschichten verselbstständigt, eine Ironie des Schicksals.