Keine Frage: Covid 19 hat uns allen seit Anfang des Jahres viel abverlangt. Homeschooling, die Arbeit unter völlig neuen Bedingungen und viele Sorgen oder gar Trauer um liebe Freunde und Bekannte hatten mich bis zum September enorm gefordert. Kurzum: als die Herbstferien vor der Türe standen, war ich komplett urlaubsreif.
Ich brauchte Abstand und hatte das Bedürfnis, etwas anderes zu sehen, mich an Schönem zu erfreuen und irgendwie abzuschalten. In Italien waren die Infektionszahlen zu diesem Zeitpunkt noch niedrig, die Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen erschien uns als eine sinnvolle zusätzliche Sicherheitsmaßnahme – so entschieden wir nach langer Überlegung, in der zweiten Oktoberwoche mit unseren Töchtern (10 und 11) nach Venedig zu fahren.
Ich möchte keinesfalls dazu anstiften, derzeit zu reisen – in der momentanen Situation kann man das sowieso nur ganz kurzfristig entscheiden. Sollte es aber die Situation wieder zulassen, dann empfehle ich, Venedig als Reiseziel in Betracht zu ziehen.
Es ist einfach zu schön, und viel Schönheit tut der Seele wahnsinnig gut – vor allem in der jetzigen Zeit.
Über Bergamo und Verona nach Venedig
Wir sind nach Bergamo geflogen und haben dort ein Auto gemietet – in die berühmteste Lagune der Welt fährt man von Bergamo aus gut zwei Stunden, die sich wunderbar durch einen Zwischenstopp in Verona mit Besuch der berühmten Arena oder des Balkons der Julia (ja, die von Romeo) unterbrechen lassen. Für mich setze genau dort bei der ersten Kugel Eis das wunderbare Gefühl ein, dass ich von jetzt an an andere Dinge als die Sorgen der letzten Monate denken würde – und so sollte es bleiben.
In Venedig fuhren wir von der Stazione de Venezia mit dem Vaporetto, dem offiziellen Wasser-Transport, über den Canale Grande zur Rialto Brücke, was für die Kinder bereits ein sensationelles Erlebnis war.
Venedig wurde ab dem etwa 7. Jahrhundert auf 118 kleinen Inselchen, die durch Wasser voneinander getrennt waren, errichtet. Dazu rammte man unzählige Holzpfähle in den lehmigen Boden der Inseln, füllte den enstehenden Hohlraum mit vorhandenen Lehm- und Steinablagerungen, legte darauf eine Schicht aus Holzbohlen und Backstein und erbaute dann die Häuser, Kirchen und Palazzi, die nun scheinbar aus dem Wasser ragen.
Die Stadt hat etwa 175 Kanäle, die oft verzweigt in den Canale Grande, die Hauptverkehrsader der Stadt, münden. 398 Brücken führen über diese Kanäle, und einige mussten wir von der Rialto-Brücke aus überqueren, um im strömenden Regen zu unserem Hotel zu gelangen – welch ein Abenteuer. Bei unserer Ankunft im Hotel waren wir so durchnässt, dass wir nur noch ein bisschen ausruhten, abends eine Trattoria in der Nähe aufsuchten, tolle Lasagne aßen und ziemlich früh im Bett lagen.
Jeder Ausblick erscheint schöner als der vorherige
Am nächsten Vormittag zeigte sich der Himmel noch ein bisschen diesig und verhangen, als wir auf dem Markusplatz quasi alleine standen. Also entschieden wir uns für einen Besuch des Doms und des Museums und waren fasziniert: der Blick vom Markusdom über die Piazetta San Marco auf den Canale Grande ist einmalig – auch die unzähligen byzantinischen Gold-Mosaiken in der der Basilika habten es uns angetan.
Als wir das Museum verließen, kam endlich auch die Sonne heraus, und so spazierten wir bis zu den Gärten der Biennale und später auf der Rückseite von San Marco wieder zurück. Dabei mussten wir ständig stehen bleiben, um Gondeln, Wassertaxis, Brücken, Kanäle, die kleinen und großen bunten Häuser und Palazzi oder auch einfach das Glitzern der Sonne auf dem Wasser zu bewundern und zu fotografieren.
In diesem gemütlichen Rhythmus verbrachten wir die nächsten beiden Tage- unterbrochen von Eis oder Pizza, Aperitivo im Sonnenuntergang oder Cappucchino auf einer sonnigen Piazza und hin und wieder einem kleinen Ladenbesuch oder dem Bestaunen einer Kunstinstallation. Die Kinder konnten sich für alles begeistern, gingen ohne Murren durch kleine Gassen und unzählige Brücken, verfolgten interessiert einen Krankentransport über das Wasser und waren höchst angetan von der Kunstausstellung Open Space, die erstmalig von dem European Culture Centre vor den Gärten der Biennale organisiert war. Das Schönste aber war für uns alle die geteilte Freude am gemeinsamen Entdecken dieser einzigartigen Stadt.
Sofern man nicht ins Wasser fällt, muss man in Venedig nicht besonders auf den Verkehr achten: es gibt weder Autos noch Fahrräder, man bewegt sich zu Fuss und hat im Moment viel Platz und Ruhe, um die sich an jeder Ecke darbietende Schönheit einfach zu genießen.
Denkt man, jetzt gerade habe man bestimmt das Schönste gesehen oder den besten Blick gehabt, macht der Kanal eine Biegung, und es ist noch hübscher. In dieser wunderbaren Kulisse wurde die Frage nach der nächsten Eissorte irgendwann wirklich die wichtigste Frage des Augenblicks.
Als wir Dienstagnachmittag wieder aufs Vaporetto stiegen, schien Venedig noch einmal alles zu geben: in strahlendem Sonnenschein unter tiefblauem Himmel leuchten die Palazzi am Canale Grande besonders hell, zogen die Möwen besonders schöne Kreise und seufzte meine Tochter andächtig „Mama, hier will ich hinziehen!“
Anreise
Wir hatten einen Mietwagen und haben diesen auf dem Festland neben der Mestre Stazione in einem Parkhaus geparkt (ca 20€ pro Tag)
Vom Festland aus sind wir mit dem Zug zur Stazione de Venezia gefahren (1,60 € pro Person) und von dort aus mit dem Vaporetto Nr 2 zur Rialto Brücke (7,50 € pro Person)
Es gibt auch in der Lagune einen Parkplatz für ca 20€ pro Tag, von dem aus fährt ebenfalls das Vaporetto Nr 2 zur Rialto Brücke
Hotel
Wir haben kurzfristig gebucht und waren mit dem Hotel total glücklich – das Familienzimmer (zwei Zimmer mit zwei Bädern über einen Gang verbunden) war für uns genau das Richtige – es ist zu Fuß ca 5 Minuten von der Rialto Brücke entfernt
Splendid Venice
S. Marco Mercerie, 760
30124 Venezia
Familienzimmer im Oktober 2020 ca 280 € pro Nacht, Frühstück 25 € pro Person, für die Kinder war das Frühstück kostenlos
Essen
Venedig hat unzählige Restaurants, und viele sind wirklich gut. Ich denke man sollte am besten nach Gefühl und Geldbeutel entscheiden, worauf man Lust hat. Was wir aber von Herzen empfehlen können ist das Eis – hier ist für uns nach einer Woche Italien klar: das beste machen die Eisdielen von Gelato di Natura
Anschauen
Der Blick vom Markusdom über die Piazetta San Marco auf den Canale Grande ist einmalig, die byzantinischen Gold-Mosaike im Inneren der Basilika ebensfalls (Eintritt 5 €)
Das Luxus-Kaufhaus Fondazione dei Tedeschi lässt alle 15 Minuten 40 Besucher auf die Terrasse mit einem herrlichen Blick über die gesamte Stadt (Eintritt frei, aber man muss vorher online reservieren)
In den frisch rennovierten Giardini della Marinaressa gibt es tolle Installationen zu bewundern – die kostenlose Ausstellung im Freien nennt sich Open Space (täglich von 10 bis 18 Uhr, bis zum 21. Februar 2021)
Für Kinder total nett ist die skurile Bücherei „Acqua Alta“ in San Marco, deren Wände teilweise aus Büchern gebaut sind und die stark an die Winkelgasse von Harry Potter erinnert
Diese Reise wurde komplett von uns bezahlt – die Empfehlungen sind nicht an irgendwelche Vergüngstigungen geknüpft